Steine sind wahre Geschichtenerzähler

EDEL BOOKS Wie bringen Sie Menschen, die sich noch nie damit beschäftigt haben, die Faszination der Geologie näher?

CHRISTIAN KLEPP Steine sind wahre Geschichtenerzähler. Die Geologie ist die Wissenschaft, die diese Geschichten entschlüsselt und wieder lebendig werden lässt. Jeder Stein, den wir vom Boden aufheben, hält Geschichten parat, die uns staunen machen. Das wir in der Lage sind, den Geschichten der Gesteine zu lauschen, ist für mich eines der faszinierendsten Abenteuer unserer Zeit.

EDEL BOOKS In Ihrer Arbeit ist die Wissenschaft seit vielen Jahren mit der Landschaftsfotografie verschmolzen. Können Sie sich das Eine noch ohne das Andere vorstellen?

CHRISTIAN KLEPP Natürlich sind die Geowissenschaften und die Landschaftsfotografie zwei ganz unterschiedliche Disziplinen, aber deren Verbindung gibt mir die Möglichkeit, die Geowissenschaft lebendig werden zu lassen. Die Menschen für unsere Erde wieder zu begeistern, sie wieder lieben zu lernen und zu respektieren, ist mein größter Wunsch.

EDEL BOOKS Ihre Forschungsarbeiten führten Sie an die entlegensten Orte unserer Erde. Welcher dieser Orte hat sie am stärksten beeindruckt?

CHRISTIAN KLEPP Das ist keine einfach zu beantwortende Frage. Im Winter bei -42°C auf dem zugefrorenen arktischen Ozean nahe dem Nordpol zu arbeiten und dabei täglich den Kontakt zu hungrigen Eisbären zu haben, hat mich sehr geprägt. Es rückt meine Perspektive gerade und zeigt mir, wie klein ich bin, nicht bedeutender als jedes Sandkorn und dennoch bin ich ein Teil des Ganzen. Auch die raue Wildnatur Islands hat es mir angetan. Ich mag es, wenn ich den Elementen hautnah begegne.

EDEL BOOKS Auf welche Gefahren sind Sie während Ihrer Reisen gestoßen?

CHRISTIAN KLEPP Das waren bereits so einige, und wäre ich eine Katze, so müsste ich langsam aufpassen. Darunter waren Steinschläge und Lawinen, zusammenbrechende Gletscherhöhlen, viel zu naher Blitzschlag, aber auch nicht ungefährliche Auge-in-Auge-Begegnungen mit Eisbären, Pumas und Grizzlies. Darüber hinaus bin ich in der Arktis nach einem Triebwerksausfall des Hubschraubers bei -42°C mit knapper Not einer halbwegs geglückten Notlandung auf dem Eis entkommen und bin fast mit einer einmotorigen Cessna beim Fotografieren der neuseeländischen Vulkane abgestürzt.

EDEL BOOKS Wie klingt eine explodierende Sternschnuppe?

CHRISTIAN KLEPP Ganz und gar unglaublich. Ein kurzer und dumpfer, markerschütternder Knall, der gar keine Ähnlichkeit mit dem Grollen eines Gewitters hat. Es war definitiv ein Erlebnis, dass ich nie vergessen werde, und kurz vor dem Knall gab es einen Lichtblitz, der mich hätte Zeitung lesen lassen können. Dabei war es eine stockfinstere Nacht bei Neumond. Wann sind wir denn schon in der Lage, etwas aus dem Weltall zu hören?

EDEL BOOKS Ein Vierteljahrhundert waren Sie aktiv in der Klimaforschung tätig. Woran haben Sie konkret geforscht?

CHRISTIAN KLEPP Ich hatte zwei Forschungsschwerpunkte in meinem Leben und beide bezogen sich auf den Wasserkreislauf über den globalen Ozeanen. Die ersten zehn Jahre widmete ich mich der Erstellung und Auswertung einer Klimatologie aus Satellitendaten namens HOAPS. Wir erforschten mit Daten von NASA-Satelliten, wie sich der Niederschlag und die Verdunstung über den Ozeanen organisiert und verteilt. Daraus ergab sich, dass der Niederschlag die allergrößten Unsicherheiten beinhaltete. Deswegen entwickelte ich einen Datensatz, der mit einem eigens dafür konstruierten Messgerät die gefallenen Regen- und Schneemengen auf Forschungsschiffen weltweit bestimmen kann. Dieser OceanRAIN Datensatz dient seitdem als Referenzdatensatz für die Satellitenklimatologien und macht diese dadurch noch präziser. Die Satellitendaten dienen wiederum der Klimamodellierung als Referenz und so tasten wir uns Schritt für Schritt näher daran, das globale Wetter- und Klimasystem der Erde zu verstehen und vorherzusagen.

EDEL BOOKS Glauben Sie persönlich daran, dass wir Menschen noch die Chance haben, das Ruder herumzureißen?

CHRISTIAN KLEPP Ja, natürlich tue ich das. Wenn ich den Glauben daran aufgegeben hätte, hätte ich dieses Buch nicht schreiben brauchen. Das heißt aber nicht, dass dies einfach wird. Wir alle wissen, dass es auf komplexe Fragen keine einfachen Antworten gibt. Ja, wir müssen zunächst weg vom CO2-Ausstoß und wir dürfen die Ökosysteme nicht stärker belasten, als sie sich gleichzeitig erholen können. Soweit ist die Antwort einfach, der Weg dahin ist aber bereits wieder hochgradig komplex. Und dies vor allem in einer Zeit, in der die globalen Probleme immer drängender werden. Es darf aber auch nicht verheimlicht werden, dass es bezüglich des Klimawandels und der Ausbeutung der Ökosysteme bereits 5 vor 12 ist, aber nicht Minuten, sondern Sekunden. Die Zeit zu handeln ist genau jetzt, sonst ist es wirklich zu spät!

EDEL BOOKS Welche Botschaft möchten Sie den Leserinnen und Lesern Ihres Buches mit auf den Weg geben?

CHRISTIAN KLEPP Schauen Sie hin, wie einmalig unser Planet ist! Ich halte nichts von Weltraumtourismus, aber es hat seinen guten Grund, dass heimkehrende Astronauten und Kosmonauten zu flammenden Erdbotschaftern werden. Wir können diese Sichtweise auch ohne einen Ausflug ins All und den Blick zurück auf die Erde erlangen. Wir müssen nur hinsehen und verstehen, wie alles mit allem zusammenhängt und wie fragil und feinjustiert das Erdsystem ineinandergreift. Genau dies beschreibt mein Buch. Das größte Problem unserer Störung des Erdsystems ist nicht einmal das zu viel. Es ist das viel zu schnell. Das Tempo, mit dem wir das Klima verändern und nach Ressourcen graben, erlaubt es den Ökosystemen und ihren Bewohnern nicht, sich an die Veränderungen anzupassen. Die Folge ist Aussterben. Weil intakte Ökosysteme aber unser eigenes Wohlergehen sicherstellen, schaufeln wir uns damit unser eigenes Grab. Jeder und jede einzelne von uns ist gefragt, sein tägliches Handeln zu hinterfragen. Jede noch so kleine tägliche Tat wird bei fast acht Milliarden Menschen relevant. Wir alle sind stets Entscheidungsträger. Die innere Einsicht, unseren Planeten zu lieben und mit Respekt zu behandeln, ist der Perspektivwechsel, den wir brauchen, damit Klimaschutz etwas Selbstverständliches im Alltag wird.