Aus der Luft offenbart sich das Cascade-Range-Gebirge im Pazifischen Nordwesten der USA in einer Weite, wie sie vom Boden aus niemals zu sehen wäre: eine unendlich erscheinende Abfolge von Gebirgszügen, die wie fein versetzte Staffeln im blauen Dunst der Höhe hintereinander verblassen. Jede Kette, jeder Grat verliert im zarten Gegenlicht der Sonne ein wenig mehr an Kontur, bis die Landschaft schließlich zu einem fließenden Spiel aus Linien und Kulissen wird – eine stille Komposition aus Licht, Luft, Ozean und Gebirge.
Was auf den ersten Blick wie ein Meer aus blauen Wellen erscheint, offenbart das Ergebnis zweier völlig unterschiedlicher und dennoch untrennbar miteinander verbundener geologischer Geschichten, verwoben durch die Dimension der Zeit. Die Cascade Range ist ein ausgedehntes Gebirge, das sich parallel zur Küste, jedoch weit im Landesinneren, von Washington bis Oregon erstreckt. Seit Millionen von Jahren taucht die relativ kleine Juan-de-Fuca-Ozeanplatte, ein abgetrennter Splitter der vulkanisch gebildeten Pazifikplatte, kontinuierlich unter den nordamerikanischen Kontinent aus Graniten und Gneisen ab. Dabei entsteht ein enormer Kompressionsdruck, der die kontinentale Kruste staucht und verdickt, hebt und faltet. So entstehen die langen, küstenparallelen Gebirgsrücken und Staffeln, die wie eingefrorene Wellen zum Landesinneren streben.
Zugleich bildet die Cascade Range einen Subduktionsvulkanbogen: In der Tiefe setzen wässrige Fluide aus der abtauchenden Ozeanplatte im darüberliegenden Mantel Schmelzprozesse in Gang und speisen Magmakammern tief in der kontinentalen Erdkruste. Aus ihnen erwachsen die hochexplosiven Stratovulkane des Nordwestens. Unterbrochen von langen Ruhephasen wachsen sie Eruption für Eruption zu mächtigen Vulkanen von bis zu 4000 Metern Höhe heran. Zeuge dieser Kräfte des Erdinneren war der Ausbruch des Mount St. Helens am 18. Mai 1980.
So entsteht eine doppelte Gebirgslandschaft: ein tektonisch gehobenes Grundgerüst aus gestauchter Kruste, überragt von einer Perlenkette junger Stratovulkane – Glacier Peak, Mount Rainier, Mount Hood und dem einstigen Mount Mazama, dessen Caldera heute als Crater Lake bekannt ist. Es ist ein Gebirge, das bis heute aktiv ist und weiter wächst. Dass es dabei nicht noch höher aufragt, liegt an der ebenso großen Erosionskraft der enormen Niederschläge an seiner Westseite, die auf den höchsten Gipfeln für ausgeprägte Vergletscherungen sorgen.
Diese Gipfellinien, die aus der Höhe so weich und sanft erscheinen, erzählen in Wahrheit von der Urkraft der Erde. Aus der Distanz jedoch löst sich diese Geschichte auf in eine ätherische Folge blauer Silhouetten – als wären die Gebirgszüge selbst nur Wellen in einem gewaltigen geologischen Ozean, dem Meer der Zeit. Denn hier, in der Überlagerung explosiver Vulkane, abtauchenden Meeresbodens und gestauchter kontinentaler Kruste, wird sichtbar, wie eng alles miteinander verwoben ist: Zeit, Erdinneres, Erdkruste, Ozean, Atmosphäre, Bewegung und stetiger Wandel.
Diese Landschaft ist Ausdruck der großen, seit unzähligen Millionen Jahren wirkenden Zyklen der Erde: Berge, die so friedlich wirken, tragen die Geschichte eines Planeten in sich, der niemals stillsteht.









