01 Nicht von dieser Welt

Herzlich willkommen in der Ausstellung „Wunderwerk Natur“. Ich nehme Sie mit auf eine einzigartige Reise um, über und durch unseren Planeten. Erleben Sie die Erde neu – mit meinen Fotografien und der wissenschaftlichen Einordung der Landschaften in das Erdsystem. Mein Name ist Dr. Christian Klepp, ich bin Geowissenschaftler und Landschaftsfotograf und habe 25 Jahre lang aktiv in der internationalen Klimaforschung gearbeitet.

An einem gewissen Punkt meiner Karriere erkannte ich, dass das reine Anhäufen von immer mehr wissenschaftlichen Fakten, so immens wichtig dies auch ist, offenbar nicht ausreicht, um einen nachhaltigen Wandel in Politik, Industrie und Gesellschaft zu bewirken. Damit Nachhaltigkeit wirklich trägt, braucht es eine positive emotionale Bindung zu unserem Planeten. Empathie und Verständnis sind der Schlüssel für einen nachhaltigen Umgang mit der Erde.

Die Natur ist meine Heimat, und das schon seit meiner Kindheit. Je wilder und ursprünglicher sie ist, desto wohler fühle ich mich in ihr. Ich bin durch eiskalte und kochend heiße Landschaften gestreift, bin mehrfach fast vom Blitz getroffen worden, durfte einer Sonnenfinsternis beiwohnen und den Knall einer explodierenden Sternschnuppe hören. Ich bin wilden Tieren Auge in Auge begegnet, und habe den Geschichten der Gesteine gelauscht.

Bekommen auch Sie Lust auf unsere Erde – und im besten Fall verlieben Sie sich genauso wie ich in Flora, Fauna und einzigartige Landschaften.

02 Solang' man Träume noch leben kann

Die Reise durch das Wunderwerk Natur beginnt mit dem Blick in den Sternenhimmel auf der Südinsel Neuseelands. Das ätherische Leuchten grüner Polarlichter hüllt den Bogen der Milchstraße über den tiefverschneiten neuseeländischen Alpen in ein bezauberndes Licht.
Diese hochauflösenden Astrofotografien entstehen mit einer digitalen Sternnachführung, und es dauert sieben Stunden, um das komplette Panorama des gesamten Milchstraßenbogens aufzunehmen.

Der Blick in die Sterne ist die ultimative Form der Zeitreise, da das Licht dieser Sterne zehntausende von Jahren unterwegs war, bevor wir es sehen können. Zudem gewährt uns der sternübersäte Nachthimmel Einblicke in unsere eigene Existenz. Die Erde und wir Lebewesen auf ihr, bestehen aus den Überesten explodierter Sterne, was uns im wahrsten Sinne des Wortes zu Sternenstaub macht. Diesen Sternenstaub erkennt man an den dunklen Bereichen, die das helle Band der Milchstraße durchziehen. Besonders markant ist die Dunkelwolke beim berühmten Kreuz des Südens in der Bildmitte der Milchstraße und die V-förmige Dunkelwolke im hellen linken Bereich des Sternbilds Schütze. Aus solchen Dunkelwolken ballten sich auch unsere Sonne und die Erde zusammen. Es ist faszinierend, sich vorzustellen, wann und wo diese ehemaligen Sterne, aus denen wir heute bestehen, am Firmament gefunkelt haben mögen.

03 Die wilde, allumfassende Stille

Der Emerald Lake in den Colorado Rocky Mountains ist ein einzigartiger Ort, um die Pracht der Milchstraße zu genießen. Im August steht die Milchstraße morgens um vier genau in der Lücke zwischen den, über 3800 m hohen Gipfeln des Hallet Peak und Flattop Mountain. Eine Nacht fernab unserer Alltagswelt ist eine tief bewegende Erfahrung. Solche Nächte in der Wildnis, bei denen ich wiederholt Pumas und Grizzlybären begegnet bin, lassen mich respektvoller und nachhaltiger mit der Natur umgehen.

In der Spiegelung der Strichspuren der Sterne im See wird die Rotation der Erde während der Aufnahme sichtbar. Daher ist es eine Illusion, dass wir uns auf der Erde statisch in Ruhe befinden. Tatsächlich bewegen wir uns mit 1000 Kilometern pro Stunde aufgrund der täglichen Drehung der Erde um die eigene Achse. Zusätzlich bewegt sich die Erde mit mehr als 100.000 Kilometern pro Stunde im Jahreslauf um die Sonne. Als wäre dies nicht genug, umkreist das gesamte Sonnensystem das Zentrum unserer Milchstraße. Dies katapultiert uns auf unfassbare zwei Millionen Kilometer pro Stunde und ein solcher Umlauf dauert sagenhafte 240 Millionen Jahre. Das ist so unfassbar viel Zeit, dass die Umrundung der Galaxie erst 19-mal geschehen ist. Beim letzten Galaxiesylvester waren die allerersten Dinosaurier die Partygäste. Sämtliche dieser Bewegungen überlagern sich und dies bedeutet: Wir werden nie wieder am selben Ort im Universum sein, und dies macht uns zu Astronauten auf unserem Raumschiff Erde.

04 Dämmerung des Nachtzaubers

Die sagenhafte Kulisse des bis zu 4800 Meter hohen Mont-Blanc-Massivs in den französischen Alpen spiegelt sich mit der aufsteigenden Milchstraße im Lac de Cheserys. Nach fünf Jahren vergeblicher Versuche waren endlich die notwendigen Bedingungen für dieses Bild vereint: die Milchstraße bei Neumond mit den schnell ziehenden Wolken, der frisch gefallene Schnee, der die Berge leuchten lässt, und die perfekte Spiegelung der Gebirgskulisse im See. Zahlreiche Steinböcke standen während der Aufnahme um mich herum und sahen mir bei der Aufnahme neugierig zu.

Unser Planet ist eine Oase des Lebens. Der einzige uns bekannte Ort in den Tiefen des Universums, an dem dies so ist. Dass auf der Erde Leben entstehen und sich zu komplexen Lebensformen entwickeln konnte, ist alles andere als selbstverständlich. Dafür waren so viele unwahrscheinliche Ereignisse notwendig, dass man nicht umhin kommt, von einem Wunderwerk zu sprechen. Die Erde befindet sich im genau richtigen Abstand zur Sonne, um ausreichend mit Wärme versorgt zu werden. Sie hat genau die richtige Größe, um eine Atmosphäre zu halten, die wir atmen können, hat einen Mond, der das Klima stabilisiert, bildet durch die Hitze im Inneren ein Magnetfeld aus, das das Leben vor der gefährlichen Partikelstrahlung der Sonne schützt. Und sie besitzt flüssiges Wasser.

Der Planet, sein Klima und alles Leben sind untrennbar miteinander verbunden. Wir sind ein Teil der Erde, und die Erde ist ein Teil von uns. Was immer wir der Erde und der Natur antun, das tun wir uns selber an.

05 Augenblicke der Ewigkeit

Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie es wohl auf der jungen Erde aussah, als das Leben entstand, ist der Fly Geyser im Norden Nevadas der perfekte Ort dafür. Er ist der einzige Geysir auf unserer Erde, der kontinuierlich kochendes Wasser speit, und dies aus sieben Öffnungen. Dadurch kann er hitzeresistente Bakterien dauerhaft ernähren, die ihn mit Biofilmen überziehen und ihm so seine surrealen Farben verleihen. Auf den roten Arealen leben Bakterien, die das kochende Wasser vertragen, und in den grünen Bereichen siedeln Bakterien, die es bis zu 50 Grad Celsius heiß mögen. Es waren solche frühen Landflächen mit Geysiren, in denen die Evolution genug Zeit fand, um in einer Art Ursuppe mit dem Leben zu experimentieren. Für diese Aufnahme stand ich stundenlang im 50°C heißen Wasser, und hätten die Koyoten in der Umgebung nicht die ganze Nacht über geheult, hätte ich daran gezweifelt, dass dieser Ort irdischen Ursprungs ist.

Leider ist es heute nicht mehr möglich, diese beeindruckende Szenerie zu erleben. Der Fly Geyser ist in der Zwischenzeit dem Vandalismus zum Opfer gefallen. Man hat mit Gewehren auf ihn geschossen, so dass sein ursprüngliches Aussehen komplett zerstört wurde.

06 Karijini's Pool der Zeitreise

Die Hamersley Schlucht mit dem malerischen Spa Pool im Karijini National Park im Nordwesten Australiens ist eine der ältesten Landschaften der Erde und die Wiege des Lebens. Die bunten Gesteinsschichten, die den Pool umgebenden, sind Bändereisenerze. Sie bildeten sich vor bis zu 3700 Millionen Jahren am Grunde eines längst verschwundenen Ozeans. Vor dieser Zeit gab es keinen freien Sauerstoff, weder in den Ozeanen, noch in der Atmosphäre. Hier öffnet sich ein Fenster zum Anbeginn des Lebens, in eine Zeit, als Bakterien die einzigen Bewohner des noch jungen Planeten waren. Sie waren die ersten, die Photosynthese betrieben und damit Sauerstoff in den Ozean abgaben. Damals waren die Ozeane eine trübe, braune Suppe voller Eisen. Wenn Sauerstoff und Eisen zusammentreffen entsteht Rost, und dieser sank auf den Boden des Meeres und bildete diese wunderschöne Schichttorte aus Gestein. Dadurch wurde mit der Zeit das bis dahin trübe, braune Wasser durchsichtig und reich an Sauerstoff, der zunehmend in die Atmosphäre entwich. So legten diese Bakterien die Grundlage allen Lebens auf dem Festland. Sie sind unsere Urahnen und ohne sie gäbe es uns gar nicht. Besonders faszinierend ist, dass es sie heute noch quietschlebendig gibt, und dies nur 500 Kilometer von diesem Ort entfernt. Im übernächsten Bild „Shark Bay Symphonie“, zeigen sich diese lebenden Steine. Diese schwarzen Knubbel aus Bakterien bewohnen die tropische Flachwasserlagune der australischen Shark Bay. Sie sind die erfolgreichste Spezies, die jemals den Planeten bewohnt hat.

07 Die Sterne sind da!

Neuseelands wildromantische Küsten bieten spektakuläre Ausblicke auf Felsformationen und Steilklippen, die sich mit flachen, felsigen Stränden abwechseln. Hier am Motukiekie Beach bevölkern bis zu 35 Zentimeter große, leuchtend orangefarbene Seesterne die Küste. Diesen Küstenabschnitt zu besuchen, ist allerdings lebensgefährlich. Der Tidenhub beträgt 14 Meter und der Zugang erfolgt über den steilen Abstieg von einer 100 Meter hohen Klippe. Genau 30 Minuten Zeit gewährt einem die Natur für so eine Aufnahme während der Ebbe. Dieses Foto entstand nach 28 Minuten, und die erste Welle, die mich fast das Leben gekostet hätte, ist im Bereich der untergehenden Sonne zu erkennen. Das eiskalte Wasser stieg mir bis zur Brust und der Sog hätte mich fast in den Ozean hinausgezogen.

Meine Faszination für solche Landschaften hat ihren Grund in den Gesteinen der Erde. Sie durchlaufen einen mächtigen Kreislauf, der 500 Millionen Jahre umspannt. Er beginnt damit, dass ganze Kontinente zerbrechen und auseinanderdriften. Zwischen ihnen öffnen sich neue Ozeanbecken, nur um nach 190 Millionen Jahren wieder im Inneren der Erde recycelt zu werden. Wenn dies vollständig geschehen ist, stoßen die Kontinente an anderen Orten und in anderen Formationen wieder zusammen und türmen dabei himmelhohe Gebirge auf. Dieser faszinierende Gesteinskreislauf ist nur möglich, weil die Kruste der Erde aus zwei ganz verschiedenen Gesteinstypen besteht: Dem leichten Granit der Kontinente und dem schweren vulkanischen Basalt der Ozeanböden. Beide Gesteinstypen sind in der Schauvitrine ausgestellt.

08 Begegnung mit der irdischen Seele

Ein Monsungewitter bei Sonnenuntergang über dem Grand Canyon in Arizona zu erleben, kommt einem Wunder der Natur gleich. Ich war umringt von viel zu nahen Blitzeinschlägen, rollendem Donner und Starkregen. Solche Momente erwecken in mir eine tief verwurzelte Verbindung zu unserem Heimatplaneten und zeigen uns deutlich, wie eng wir mit der Natur verbunden sind.

Das Bild erscheint logisch: Denn wenn Kontinente zusammenstoßen, enstehen himmelhohe, vergletscherte Gebirge. Tatsächlich ist diese Vorstellung falsch und nirgends kann man dies besser sehen als am Grand Canyon auf dem Colorado Plateau. Dieses Gelände hat sich auf das gleiche Niveau gehoben wie die Alpen. Dennoch ist das Colorado Plateau mit seinen weit über 3000 Metern Höhe ein flaches Land, in das sich Flüsse als Canyons tief eingeschnitten haben. Den entscheidenden Unterschied macht der Wasserkreislauf. In den Alpen gelangt viel Regen und Schnee ins Gebirge, wodurch sich Gletscher formen. Ihre schürfende Kraft formt aus einem Plateau das Relief eines Hochgebirges. Fehlt dieser Wasser- und Schneeeintrag in die Region, wie hier auf dem Colorado Plateau, stellt sich ein wüstenartiges Klima ein und die Gebirgsbildung bleibt aus.

09 Nachhall des Donners

Das Panorama des Großen Aletschgletschers und des Fieschergletschers im Berner Oberland der Schweizer Alpen gehört zu den spektakulärsten Berglandschaften Europas. Eine intensive Gewitterlage nutzte ich, um diese Szenerie vom Gipfel des Eggishorns zu fotografieren. Am rechten Bildrand leuchtet das über 4200 Meter hohe Finsteraarhorn, von der Sonne im fahlgelben Gewitterlicht beleuchtet. Das aktive Gewitter war über sechs Kilometer entfernt und zog auf mich zu. So hatte ich scheinbar genug Zeit für das Bild. Was ich allerdings nicht wahrnehmen konnte, war, dass sich über dem Gipfel, auf dem ich stand, eine neue Gewitterzelle ausbildetete, und mich der erste Blitzschlag nur um wenige Meter verfehlte. Mit Tinnitus in den Ohren kamen Flammenbüschel des Sankt-Elms-Feuers aus all meinen Fingerspitzen. Ein Erlebnis, dass man nicht vergisst.

Im Zuge des Klimawandels werden solche Wetterextreme immer häufiger und intensiver. Wie alle Gletscher, so reagiert auch der Aletsch auf die Erderwärmung wie ein Fieberthermometer. Er wird voraussichtlich im Jahre 2080 zerfallen sein. Für die Erde ist Veränderung etwas vollkommen Normales. Es hat in der Erdgeschichte bereits viel stärkere Klimaschwankungen gegeben als die, die wir Menschen gerade verursachen. Aber wir verstehen den Faktor Zeit nicht. Für uns sind 100 Jahre eine lange Zeit, für die Erde ist es ein Wimpernschlag. Die Ökosysteme können sich an derart schnelle Veränderungen nicht anpassen. Es ist unsere Verantwortung, dass jeden Tag 150 Arten aussterben.

10 Die Kristallgrotte

Eine anhaltende Kälteperiode bot mir die seltene Gelegenheit, mich über den zugefrorenen Eisrandsee in den Svínafellsjökull Gletscher in Skaftafell auf Island vorzuwagen. Diese imposante Eishöhle ist 50 Meter lang, 10 Meter breit und 7 Meter hoch. Das Betreten dieser Eisgrotte eröffnete mir eine märchenhafte Welt, die von beängstigenden Knack- und Knirschgeräuschen des sich bewegenden Gletschers begleitet war. Die schwarzen Streifen im Eis sind Aschelagen zahlreicher Vulkanausbrüche. Das tiefblaue und hochverdichtete Gletschereis ist 1000 Jahre alt und enthält nur noch wenige eingeschlossene Luftblasen. Diese sind ein wahres Klimaarchiv, denn sie lassen sich auf ihre genaue Luftzusammensetzung untersuchen. Dadurch bekommen wir nicht nur ein detailliertes Bild davon, wie sich die Luftzusammensetzung vor und nach dem Einfluss des Menschen verändert hat, sondern auch in welch ransanten Tempo und Ausmaß dies geschieht.

11 Im Sturmlicht des Mittsommers

Ich hoffe, ich konnte Sie auf unserer Reise durch das „Wunderwerk Natur“ ein wenig für unseren wunderschönen Planeten begeistern. Wir brauchen einen Perspektivwechsel und ein neues Werteverständnis im Umgang mit unserem Planeten, denn: Die Erde braucht uns gar nicht. Wir dagegen sind hochgradig von der Erde und ihren intakten Ökosystemen abhängig.

Mehr als 8 Milliarden Menschen bevölkern die Erde. Wir alle sind in jedem Moment Entscheidungsträger, haben es in der Hand, in welchen Zustand wir unsere Erde an unsere Kinder und Enkel übergeben wollen. Es sind gerade die kleinen Dinge, auf die es im Alltag ankommt: Weniger Auto fahren. Wasser sparen. Wildblumen statt Rasen anpflanzen. Dinge länger nutzen. Weniger Lebensmittel wegwerfen – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Erzählen Sie es weiter. Gerne auch denen, die davon nichts wissen wollen. Wenn wir täglich bewusster leben und handeln, tun wir nicht nur etwas Gutes für uns, sondern tragen dazu bei, dass aus vielen kleinen Dingen etwas ganz Großes wird. So bewahren wir das Wunderwerk Natur.