Hochsommerliche Wetterlagen werden im Norden Deutschlands gelegentlich von Gewittern gestört. Diese entstehen entweder als lokale Wärmegewitter oder treten als heranziehende Wetterfront linienhaft organisiert auf. Eine solche Gewitterfront zog zur Zeit der Sommersonnenwende am 27. Juni 2020 über Norddeutschland hinweg. Sie wurde von einem Tief über den britischen Inseln verursacht. Die Kaltfront dieses Tiefdruckgebiets zog von Südwest nach Nordost über Hamburg hinweg. In ihrem eng begrenzten Wolkenband waren intensive Gewittern mit Starkregen eingelagert.
Im Gegensatz zu den kaum vorhersagbaren Positionen und Intensitäten isolierter Wärmegewitter lassen sich solche Liniengewitter recht präzise vorausplanen, so dass ein Jagen dieser Wetterphänomene möglich ist. An diesem Tag stieg die Temperatur in Hamburg auf 31°C an und der ungetrübte Sonnenschein erhitzte den Boden bei einer Tageslänge von 17 Stunden. Die Vorhersage dieser aktiven Gewitterfront ließ für den Nordosten Hamburgs einen Durchzug zur Zeit des Sonnenuntergangs vermuten. Perfekte Voraussetzungen für ein perfektes Foto.
So machte ich mich am Nachmittag mit meiner Kameraausrüstung auf, um einen geeigneten Ort für das geplante Foto zu finden. Ich wollte ein Getreidefeld mit üppigen Kornblumen für den Vordergrund mit einem natürlichen Hintergrund ohne Bebauung ausfindig machen. So fuhr ich in der brütenden Hitze des Tages von Dorf zu Dorf und nahm die Felder eins nach dem anderen in Augenschein. Schließlich führte mich meine Suche in einen kleinen abgelegenen Ort im Nordosten Hamburgs namens Brunsbek. Hier fand ich endlich die gesuchten Kornblumen in einem Getreidefeld mit beträchtlicher Ausdehnung. Zu meiner Freude bestand der Hintergrund aus einer Reihe von Bäumen und einem angrenzenden Waldstück.
Der Bildwinkel schien allerdings alles andere als perfekt zu sein, denn der Blick der malerischen Szenerie war nach Norden gerichtet. Das aufziehende Gewitter war aber aus Südwest zu erwarten. Zur Not konnte ich aber hier auch nach Westen fotografieren, so dass ich mich entschied zu bleiben. Inzwischen war es Abend geworden und nun fehlte nur noch das Gewitter. Das Niederschlagsradar versprach dessen baldigen Aufzung und bald gewahrte ich im Süden den tiefschwarzen Himmel des aufziehenden Gewitters.
Offenbar kam das Gewitter aber doch schneller als vorhergesagt, denn der Sonnenuntergang war noch etwa eine Stunde entfernt. Der Himmel verfinsterte sich zusehend und schließlich ließ sich fortwährendes Donnergrollen vernehmen. Die Luft wurde schwül lag heiß über der Landschaft. Die Gewitterlinie bildete einen wunderschönen Böenkragen aus, jene Wolkenrolle, die dem Sturm vorrausgeht. Diese Ruhe vor dem Sturm wurde nur durch den häufigen Donner unterbrochen. Kein Halm bewegte sich. Ich stand mit meinem Stativ inmitten des Getreidefeldes, dort wo die meisten Kornblumen blühten, und mir wurde klar, dass ich gleich sehr nass werden würde. Das aufziehende Unwetter mit seinen zahlreichen Blitzen war großartig anzusehen, aber fotografisch noch zu sehr vom Tageslicht geprägt. Als der großtropfige Regen einsetzte und die Erde diesen unverkennbaren Geruch von sommerlichem Gewitterregen annahm, packte ich meine Kameraausrüstung schnell zusammen und verstaute sie regenfest. Dann war ich inmitten des Gewitters, der Regen prasselte auf mich herab und die Blitze zuckten um mich herum. Dieses Erlebnis allein war es wert, selbst wenn kein weiteres Foto mehr entstehen würde. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis der Regen nachließ, das Gewitter abzog und mich klitschnass zurückließ.
Ein Blick auf die Uhr verriet, dass der Sonnenuntergang jetzt nur noch 15 Minuten entfernt war und tatsächlich zeigte der schwarze abziehende Gewitterhimmel eine schwache rötliche Färbung. Hatte ich eigentlich geplant das aufziehende Gewitter zu fotografieren, so war ich jetzt mit dem abziehenden Gewitter konfrontiert. Da es aus südwestlicher Richtung aufgezogen war stand ich mit meiner Blickrichtung nach Norden perfekt ausgerichtet. Von Minute zu Minute nahm der Himmel jetzt mehr und mehr Farbe an und dann begriff ich was hier passierte: Die Gewitterlinie war so eng begrenzt, dass die untergehende Sonne im Nordwesten das Gewitter von unten zu beleuchten begann. Was jetzt geschah geriet zum Spektakel der Farben. Inzwischen war es 21:51 und der Mittsommerhimmel fing im Nordwesten an, in goldgelbenen Farben zu brennen, während der Nordosten das düstere Grauschwarz des abziehenden Gewitters beibehielt. Die ohnehin schon braungelbe Farbe des Getreides wurde durch das intensive Gelb der Wolken extrem gesteigert. Die rollenden Donner unterstrichen diesen dramatischen Anblick noch. Zum Zeitpunkt der intensivsten Farben drückte ich auf den Kabelauslöser für meine Langzeitbelichtung. Zu Beginn dieser Belichtung lag das Feld mit den Kornblumen unbewegt vor mir. Doch dann ging während der Belichtung ein kräftiger Windstoß durch das Feld und verwischte das Korn mit den Blumen zu dieser malerischen Szenerie. Tropfnass stand ich staunend im Feld und bewunderte dieses Geschenk des Himmels und der Erde und sah dem Gewitter nach bis es dunkel wurde.